Warum es gute Propaganda gibt!
Gibt es gute Propaganda? Oder ist jedwede Propaganda potentiell totalitär?
Wie selbstverständlich steht Propaganda im Verdacht, Gehirnwäsche und Lüge zu sein. Und wer, wie ich, bei der Beurteilung der Rede des ukrainischen Präsidenten von einer »propagandistischen Meisterleistung Selenskyjs« spricht, gerät daher schnell ins Kreuzfeuer der Kritik; zumindest bugsiert er sich in eine Lage, die mehr als billige Rhetorik verlangt. Die Kritiker einer jeden Propaganda wähnen sich dabei auf der richtigen Seite; auf jener Seite also, die ohne Propaganda auskommt und den Bürger über die wahren Hintergründe eines Krieges aufklärt, egal ob er nun in der Ukraine stattfindet oder in Syrien. Und wer anderer Meinung ist, wird im besten Falle mit einem Hinweis auf die Meinungsfreiheit geduldet, muss sich aber dafür den Vorwurf gefallen lassen, einer Gehirnwäsche durch Russen, Amerikaner oder Chinesen unterzogen worden zu sein.
Dieser propagandalose Standpunkt klingt gut, klingt moralisch integer, klingt nach einer aufrechten, ehrlichen Haltung, insbesondere wenn die medial forcierte Mehrheitsmeinung das Gegenteil sagt – und ist doch als Behauptung, selbst keine Propaganda zu treiben, eben das: Lupenreine Propaganda. Nun ist das eben so und man sollte sich gut überlegen, ob daraus ein Vorwurf gegen die andere Seite gedrechselt werden kann. Denn Propaganda gehört zu einem Krieg, ist im Grunde nichts anderes, als ein weiteres, ausgefeiltes Waffensystem, mit dem die Kriegsführenden Bürger und Kombattanten in ihrem Sinne manipulieren.
Und ist es nicht das gute Recht eines Staates, seine Sache in seinem Sinne zu steuern? Es zumindest zu versuchen? Schließlich gelingt es wahrscheinlich nur selten, zu Kriegsbeginn alle Bürger für die eigene Sache sofort zu gewinnen, es sei denn, der Gegner ist unklug genug, mit militärischen Aktionen zu beginnen, die ein Land hinter seiner Führung so entschlossen vereinen, daß die Bürger bereit sind, Besitz, Gesundheit und ihr Leben oder das Leben ihrer Kinder und Enkel zu riskieren. Der Angriff des Deutschen Kaiserreichs auf Belgien 1914 oder der des Kaiserreichs Japan gegen die US-Pazifik-Flotte in Pearl Harbor wären Beispiele oder eben der Überraschungsangriff Russlands gegen die Ukraine. In den meisten Fällen ziehen Kriege sich hin und drohen jederzeit, die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit verlustig zu gehen. Der Zweite Weltkrieg fand zwischen der Zerschlagung Polens durch Deutsche und Russische Wehrmacht bis zum 10. Mai 1940 zumindest an der Westfront praktisch nicht statt. Die USA agierten noch länger lediglich im Hintergrund und lieferten Waffen. Wer sie für den Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland gewinnen wollte, musste manipulieren.
Denn ein Krieg, der mehr ist als eine Spezialoperation – eine durch und durch propagandistische Wortwahl, an der Putin nicht zufällig bis heute krampfhaft festhält –, ist von einem Staat nur unter Beteiligung der weitaus größten Zahl seiner Bürger zu führen und zu gewinnen. Sie zu überzeugen, damit sie den Krieg unterstützen, muss daher im Krieg das Ziel der Politik sein, sonst ist sie zum Scheitern verurteilt, wie die Kriege in Vietnam und Afghanistan zu Genüge beweisen.
Ein Mittel der Überzeugungsarbeit heißt Propaganda. Sie gehört zur Politik wie beim Bewerben eines Produkts oder das Umwerben eines reizendes Weibes. Ja, man kann mit Fug und Recht sagen: Propaganda ist im Feld des Politischen, was die Werbung im Bereich der Wirtschaft oder das Prahlen vor Männchen und Weibchen. Und da das Politische, frei nach Carl Schmitt, das Denken in den Kategorie Freund und Feind ist, hat Propaganda im Politischen und damit auch im Krieg einen mindestens verständlichen Sinn. Wo die Werbung dem Produzenten hilft, seine Produkte unter die Leute zu bringen und ein fesches Abendkleid die Männer anlockt, hilft im Krieg Propaganda den Freunden, den Kampf gegen den Feind zu gewinnen.
Natürlich liegt nunmehr der Vorwurf gegen Propaganda im Raum, sie würde die Bürger verführen und diene allein dem Betrug. Ein Vorwurf, der nicht zufällig immer auch gegen Werbung ins Feld geführt wird. Und wer gegenüber einer Frau, die er anhimmelt, ein wenig mehr aus sich macht, als er ist, läuft Gefahr, als Heiratsschwindler zu gelten. Nur ist das, wenn suggeriert wird, man käme auch ohne Propaganda ans Ziel und sie wäre daher unbedingt zu vermeiden, in allen drei Fällen, bei Bürger, Kunde und Bewerber gleich doppelt falsch.
Zum einen ist es ein Argumentieren im luftleeren Raum einer idealen Welt. In einer idealen Welt könnte verleitet Propaganda zu totalitärem Denken und sollte nicht verwendet werden. In einer solchen rationalen Welt wäre jeder Versuch, Emotionen zu erregen und sich in die Gehirne der Bürger einschleichen zu wollen, statt sie mit sachlichen Argumenten zu überzeugen, ein schwerlich zu rechtfertigender Versuch, zu manipulieren. In einer solche Welt hätte jeder Bürger – und ich meine wirklich jeder –, Zugang zu allen Informationen, um eine objektive Entscheidung zu treffen, welche der beiden am Krieg beteiligten Seiten für die Bessere steht und welche Information die Fakten beschreibt. Jeder könnte also ermitteln, ob Nord Stream II von den Russen, den Amerikanern oder gar von den Norwegern gesprengt worden ist und was dran ist, an der Behauptung, die US-Regierung hätte vor dem 7.Dezember 1941 vom geplanten Angriff auf Pearl Harbor gewusst.
Kriege, Verkauf und Brautschau sind jedoch Elemente unerbittlicher Teilrealitäten. Wir bewegen uns nicht in einer Welt der vollständigen Information, sondern müssen immer auch mit dem unbekannten Teil der Realitäten Vorlieb nehmen. Es ist eine Welt, die den stärkeren Krieger belohnt, den Produzenten mit der besseren Werbung am Markt bleiben lässt und in der Frösche mit dem Versprechen, verzauberte Prinzen zu sein, auch als Frosch die Schöne fortführen können. Und wer sich verweigert, erringt günstigenfalls einen Trostpreis. Also muss, wer nicht von vornherein als Verlierer antreten will, sich schon mit Mitteln anfreunden müssen, die dazu dienen, mitunter fünfe gerade sein zu lassen.
Das andere Argument ist unter der Wendung: Der Zweck heiligt die Mittel mittlerweile äußerst verpönt. Ja, man kann sagen, daß nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs – die tatsächlich kaum noch Erfahrungen, sondern mehr oder weniger propagandistisch aufbereitete Mythen, sind –, einem Krieg, in dem Propaganda wie in keinem Krieg zuvor betrieben wurde, sämtliche Mittel, die nur einem Zweck dienen sollen, also nicht nur die unlauteren, in schlechtem Licht erscheinen und wir immer zuerst auf die Zwecke achten und über die Mittel mit den gleichen Kriterien urteilen, die wir auch auch auf die Zwecke anwenden. Und wer ungute Mittel einsetzt, kann keine guten Zwecke verfolgen. Folglich ist, wer Propaganda betreibt, im Grunde schon schlecht.
Diese Position ist, wie wir alle wissen, falsch. Ohne Propaganda hätten die westlichen Alliierten den Zweiten Weltkrieg vermutlich und den Kalten Weltkrieg sehr wahrscheinlich verloren. Und zu den vielen Momenten der Propaganda zählten in fast allen Kriegen und Konflikten die Reden der politischen oder militärischen Führer. Ronald Reagans »Mister Gorbachev, tear down this wall!« und Kennedys »Ich bin ein Berliner« zählen ebenso dazu wie, um auf den Anlass Ihres Kommentars zurückzukommen, die Rede von Winston Churchill am 4. Juni 1940, also die »We will not surrender«-Rede, auf die sich Selenskyj in seiner Rede vor dem Kongress indirekt berief. Auch sie war auch Propaganda. Aber sie war gute Propaganda. Und ich würde in allen drei Fällen sagen: Propaganda für das Gute.
Warum? – Wer auch nur eine Minute in Churchills Rede hineinhört und Churchills Reden mit den Reden eines Goebbels oder Hitler vergleicht, erkennt das. Während Churchill mit äußerster innerer Anspannung spricht, keifen der Schrumpfgermane und der verkrachte österreichische Anstreicher lediglich rum und es war mir lange ein Rätsel, wie die Deutschen dieser Figur hinterherlaufen konnten, auch wenn sich meine Meinung dazu seit 2015 und den Erfahrungen in der Corona-Zeit geändert hat. Churchill riss seine Landsleute mit. Er riss auch den US-Kongress mit. Und das musste er auch, wenn er wollte, daß sein Land diesen Krieg zunächst bestehen und dann gewinnen sollte. Es war Propaganda für diesen und nur für diesen Krieg. Und bekanntlich hat Churchill die ersten Wahlen gleich nach dem Krieg verloren.
Wurde ich, weil ich Churchills und Kennedys und Reagans Reden hier ausdrücklich als gute Propaganda bezeichne, einer Gehirnwäsche durch Engländer und Amerikaner unterzogen? Bin ich raffinierter Propaganda zum Opfer gefallen? Wurde mir eingepflanzt, das im Grunde nicht meins ist? – Ganz sicher nicht! Denn ich kann selber sehen und mir ein eigenes Urteil erlauben. Mitunter ist das ja auch ganz leicht.
In einem Winter vor der Wende 1989, irgendwann Anfang der 1980er Jahre, stand ich mit zwei überzeugten italienischen Sozialisten im Bahnhof Friedrichstraße, dem, wie es damals so treffend hieß, einzigen Doppelsackbahnhof, durch den man hindurchfahren kann, und vom Bahnsteig des einen Sackbahnhofs schauten wir zum Durchgangsbahnsteig hinüber, an dessen Gleis der Express Paris-Moskau gerade aus der bitterkalten Nacht eingerollt war. Schnee lag auf Schienen und Schotter und unter den Waggons hing eine Eisschicht – aber die Grenzer scheuchten ihre Hunde auf die Suche nach möglichen Republikflüchtlingen unter die Wagen. Fassungslos merkten meine Begleiter in ihrer wohl den meisten Italienern eigenen Humanität an, daß man jene, die sich bei den Temperaturen unter einen Waggon hängen, doch wohl laufen lassen sollte. Und so habe ich es in der Regel gehalten: Gäste in Westberlin wurden von mir zu einer Fahrt mit der S-Bahn vom Lehrter Bahnhof nach der Friedrichstraße eingeladen – danach hatte der Sozialismus bei vielen einen Riss. Eine Gehirnwäsche brauchte es dafür nicht, es sei denn, eine Fahrt mit der Berliner S-Bahn wäre ein solche gewesen. Aber das ist sie nicht einmal heute.
Mit anderen Worten: Ich bin sicher, daß die Westalliierten in Westdeutschland und mit Westberlin Propaganda betrieben. Aber ich bin auch sicher, daß sie sicher keine perfekte, aber ebenso sicher die bessere Welt vertraten als die stalinistischen Propagandisten in Moskau und daß diese Sicherheit nicht daher rührt, daß die westliche Propaganda besser war als die östliche – auch wenn sie das tatsächlich ebenfalls war. Die Luftbrücke wurde zu einem Meisterstück westlicher Propaganda ausgeschlachtet, sinnfällig geworden in der Rede vom »Rosinenbomber« – noch so ein Propagandabegriff – von Berlinern, die noch einige Jahre zuvor unter alliierten Bombern gelitten hatten. Und da spielt es keine Rolle, daß es sich um eine C-47 und nicht mehr um eine B-17 handelte. Aber de facto retteten die Maschinen Westberlin vor dem Zugriff Moskaus. Da wäre auch noch die Mauer zu nennen, deren propagandistischer Schaden für Moskau und seine Satrapen ungleich höher war, als jeder vermeintliche Gewinn für das Regime.
Churchill, Kennedy, Reagan – sie haben Propagandareden gehalten! Aber es war Propaganda für eine bessere Welt als die auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Und jeder wusste: Gegen das »Geh doch nach drüben« war kein propagandistisches Kraut gewachsen. Der Anblick von Stacheldraht und Mauer war zu eindeutig.
Und in diesem Sinne, im Sinne von Churchill, Kennedy und Reagan, ist Selenskyjs Auftritt gute Propaganda gewesen. Denn der Kampf Mitteleuropas um seine Freiheit vor den Zugriffen Moskaus und auch der EU ist ein guter Kampf um den Erhalt einer Welt, die mit den Perversitäten einer irregeleiteten Konsumwelt des Wohlstandswestens nichts zu schaffen hat, wie jeder Besuch in Warschau, Wilnius, Riga oder Lemberg beweist.
Dabei bestreite ich nicht, daß die Verwendung von Propaganda ein riskanter Weg ist. Er verlangt die moralische und politische Kontrolle über sich selber und setzt der Propaganda Grenzen, die von einer Moral geprägt sind, die zu den Zwecken gehört. Wird hier eine Grenze verletzt, wie etwa von den USA bei ihrem Irak-Krieg, dann hinterlässt das zumindest in westlichen Ländern einen bleibenden Schaden. Und da hilft es nur wenig, wenn ich mir sage: »Chinesen und Russen hätten im Irak mit Sicherheit chemische Waffen gefunden.« Es waren die Medien der Vereinigten Staaten, die die Lüge ihrer Regierung an den Tag gebracht haben, und damit zur Rettung beitrugen.
Wie man sieht, ist es eine Gratwanderung, gute Propaganda zu machen. Es ist eine Wanderung auf dem Vulkan der Realitäten, auf die sich Astrid Lindgren, Margret Boveri, Arthur Koestler, Eric Voegelin und etliche andere begeben haben, als sie mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten westliche Geheimdienste im und nach dem Zweiten Weltkrieg zur Verfügung stellten. Ich kann daran nichts Schlechtes erkennen. Denn sie alle haben die moralischen Grenzen beachtet und wussten sich auf der Seite, die die bessere war. Und zugleich waren sie sich der Gefahren bewußt.
Mir sind sie jedenfalls näher, als jene, die so tun, als wollten sie keine Propaganda betreiben und nur von Tatsachen schreiben. Genaugenommen sind sie die größten Lügner von allen. Sie kassiert für sich den Anspruch objektiv zu berichten und brüsten sich, sozusagen als höchste Form der Propaganda, hinter vorgehaltener Hand die wahre Wahrheit zu sagen.
Vordergründig zählt auch der Putin-Versteher zu diesen Figuren. Er gibt sich den Schein, eine Position jenseits von Moskau und Washington zu beziehen, indem er betont, nicht auf der Seite von Putin zu stehen, sondern seinen Standpunkt lediglich nachvollziehen zu können. Von diesem vermeintlich neutralen, ja sogar höheren, tatsächlich aber samt und sonders pro-russischem Standpunkt aus werden anschließend jene sprachlich hochnot peinlichen Angriffe gegen den ukrainischen Präsident Selenskyj vorgetragen, auf deren Inhalt ich hier nicht eingehen muss. Bemerkenswert an ihnen ist nur eines: Sie sind lupenreine Propaganda im Stil eines Ilja Ehrenburg in der Prawda aus den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs.
Gegen solche Propaganda des Kremls hilft nur Gegenpropaganda, so wie sie Selenskyj in Washington erfolgreich betrieben hat. Was einen ja nicht abhalten muss, das Eigenleben des Putin-Verstehers verstehen zu wollen. Nicht der Person. Nein, des Begriffs. Auch der Begriff »Putinversteher« ist lupenreine Gegenpropaganda, also Propaganda.
Ich weiß nicht, wer den Putinversteher aufgebracht hat. Mittlerweile hat er sich sogar ins Englische eingeschlichen, was bekanntlich nur wenigen deutschen Wörtern gelingt. Doch ob nun mit oder ohne Bindestrich – es ist eine geradezu geniale Propagandaschöpfung der deutschen Medien. Denn mit diesem Wort lassen sich nicht nur jene abstempeln, die der Ukraine jede deutsche Hilfe verweigern wollen, und damit de facto Putin unterstützen. In dem positiven Unterton des Wortes Verstehen baut der Begriff sogar eine Brücke zu allen, die in Zukunft entdecken, daß es womöglich für sie sinnvoller wird, dem russischen Präsidenten verständnisvoll zu begegnen. Und damit sind nicht die vermeintlichen deutschen Rechten gemeint, die, wie einst die deutschen Linken, in der Weltmacht Russland ihre eigenen deutschen Weltmachtträume so lange wie möglich wachhalten wollen.
Nein, damit sind jene links-liberalen Zeitgenossen gemeint, deren Antiamerikanismus gerade so weit reicht, daß sie dem russischen Präsidenten über ein möglicherweise geschlagenes Mitteleuropa hinweg die Hand reichen können. Präsident Putin wusste genau, warum er nach Kiew marschieren wollte, um den »Nazismus« auszurotten. Auf diesen Begriff reagieren alle Links-Liberalen mit Verständnis. Und es würde mich nicht wundern, wenn sie dann auch Putin verstehen.
Putinversteher – was für ein schillerndes Wort! In jedem Fall bleibt offen, ob es nun schlechte Propaganda ist oder gute.
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