Ein konservatives Manifest - Was soll das sein?
Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Konservatismus. An jeder Ecke verteilt jeder Denker, der was auf sich hält, Anleitungen zum Glücklich-Sein mit Hilfe von »guten alten Regeln«, »Traditionen«, »ewigen Werten«. Ja, in einer aktuellen Streitschrift werden sogar Zehn Gebote geboten. Als wäre Konservatismus eine Sache der Willensentscheidung. »Wie 68, nur andersrum«, tönt es prägnant über den Marktplatz der Ideen.
Und richtig: 68 scheint ideologisch am Ende zu sein. Die Grünen haben ihren Zenit längst überschritten, die Bildungsreformen sind lange gescheitert und die von Linken und Linksliberalen beherrschten Medien suchen verzweifelt nach Zuschauern, Lesern und Hörern. Wäre nicht die Gebühreneinzugszentrale… Aber das ist ein anderes Thema.
Das Thema ist der Konservatismus; oder soll ich lieber sagen: Der sogenannte Konservatismus? Denn scheinbar verstehen viele unter »konservativ« sehr verschiedene Dinge. Sogar von einer »Erotik des Konservatismus« kann man schreiben, als wäre »konservativ« ein Aphrodisiakum mit dem Politikverdrossenheit erfolgreich bekämpft werden kann. Dabei stand der Begriff einmal für den Mief, den politischer Spießer verbreiten.
»Konservatismus« kommt von »konservativ« und »konservativ« kommt, das wurde oftmals gesagt, von lateinisch conservare, d.h. konservieren, bewahren. Zu sagen, Konservative glaubten »an immer neue Anfänge aus Geschichte« ist daher falsch. Und mit 68 hat konservativ inhaltlich schon gar nichts zu schaffen. Die Studenten von damals als konservativ zu bezeichnen, ginge völlig an den Ideen von 68 vorbei.
Aber so war das auch nicht gemeint. »Wie 68, nur umgekehrt«, will eigentlich sagen: »Es findet ein Aufbruch statt«. Nur eben in eine andere, entgegengesetzte Richtung. Nicht links, aber doch liberal; nicht rechts, aber bürgerlich; ein bisschen patriotisch, aber nicht national; und auf keinen Fall, vermute ich mal, rechtspopulistisch. »So entsteht ein Manufaktum des Geistes, bei dem gilt: Es gibt sie noch, die guten, alten Dinge.«
Was ist ein Manufaktum des Geistes? - Übersetzt müsste es heißen: Handwerk des Geistes. Doch was ist ein »Handwerk des Geistes«? - Na ja, zumindest klingt es schön geistig; wie ja ohnehin diese Pamphlete sprachlich zunächst alle mal klingen. Allerdings klingt Manufaktum des Geistes nur halb so schön wie der darauf folgende Satz: »Es gibt sie noch, die guten, alten Dinge.«
Die guten, alten Dinge, die gültigen Dinge, die Dinge, die es lohnt, zu konservieren. Die gibt, die soll es geben.
Die Katze ist aus dem Sack. Konservative sehnen sich nach der »guten, alten Zeit«. Als die Kirche noch im Dorf stand, der Lehrer respektiert wurden und der Schutzmann eine Autoritätsperson war. Die will man zurück. Und so geht es durch die Themen, die zählen: Individuum, Familie, Heimat, Nation, Kulturkreis, Tradition, Recht, Ordnung, Eigentum, Wohlfahrt und schließlich Gott. Sie, diese Dinge, wird uns erklärt, sind wieder gültig.
Ach, wenns doch nur so einfach wäre. Per Willensentscheidung schaffen wir uns die heile Welt von gestern zurück oder uns in die heile Welt hinein. Von heute an glauben wir wieder an Gott, Vaterland, Pflichtgefühl und Familie. Und morgen ist vielleicht sogar der Kaiser zurück. Keine Parteien mehr, die mal auf die schnelle Mitglieder ein- und austreten lassen; hinweg eine Kanzlerin, die ihr eigenes Land im Grunde verachtet und nur zum eigenen Fortkommen ausnutzt; geschlossen eine Kirche, die ihre Gotteshäuser in Supermärkte der Armenspeisung verwandelt und am Ende konsequenterweise an Aldi für eine Büchse Linsen verscherbelt.
Doch es ist nicht so einfach. Denn wer den Glauben einmal verliert, der schafft ihn nie und nimmer per Ansage wieder herbei. Schon gar nicht aus Sehnsucht.
Sicher, es gibt eine Sehnsucht nach Werten. Und es ist ebenso treffend, in den eisernen Regelwerken aus Essens- und Mülltrennungsvorschriften, in den Prangerecken für Raucher, im Zelebrieren von kitschiger Willkommenskultur und wohlfeilem Antifaschismus den kitschigen Ersatz für eben jene Werte zu sehen. Aber wer aus diesem Bedürfnis nach Regeln Werte ableiten will, hat die wirkliche Bedeutung von Werten verpeilt. Im Gegenteil: Er zerrt jene höheren Werte in die Sphäre von Verlangen und Befriedigung dieses Verlangens. Er macht aus Werten das Produkt einer psychischen Spannung, die nach Entspannung sucht und diese irgendwie findet.
Ein so begründeter Konservatismus ist dann aber nicht das Gegenteil von 68 - er ist 68. Konservativ sein ist dann nur eine Mode, der man momentan nacheifern möchte, der man für die nächste Zeit folgt. Konservativ aus Lust. Das hätte den Kommunarden von 68 sicher gefallen. Sie vertraten die scheinbar Wahrheit des Individualismus: Mach, was Du willst. Macht kaputt, was Dich kaputt macht. Einer, der sich konservativ nennt, und das Individuum an die erste Stelle seinem konservativen Manifest platziert, liegt exakt auf dieser Linie. Mit anderen Worten: Er macht mit dem Konservatismus das, was man auf keinen Fall machen sollte: Er unterwirft ihn der heutigen Zeit und denkt Konservatismus in Titeln wie: »Die sanft lockende Erotik des Konservatismus«. Dann geht es, wie damals, zuerst um den äußeren Reiz. Man trägt heute eben konservativ.
Aber der Zweireiher ist kein Zeichen von Konservatismus. Er ist nur ein äußeres Zeichen für vertretene Werte. Als Zweireiher ist er dagegen nur eine Mode. Und Werte sind keine Mode. Werte werden von außen gegeben. Wenn wir sie vollkommen selber gestalten sind sie das Produkt unserer Willkür. Es sind unsere Werte. Doch eben das ist nicht der Sinn eines Wertes. Einem Wert wird gefolgt. Ein Wert ist von außen gegeben. Ein Wert wird geglaubt.
Werte fußen im Glauben, d.h. man muss an sie glauben. Und mit dem Glauben ist es wie mit dem Weihnachtsmann. Ein Kind, das hinter dem roten Mantel und dem weißen Bart den eigenen Onkel erkennt, hat den Glauben verloren und kriegt den Weihnachtsmann niemals wieder zurück. Das ist die einfache und traurige Wahrheit. Die Welt ist von nun an die Welt und sonst gar nichts.
Gibt es also keine Rückkehr der Werte? Bleibt uns das Paradies des selbstverständlich Gültigen auf immer verschlossen? Ist der fehlende Glaube das Schicksal einer konsumistischen Welt? - Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass eine konservatives Manifest, das mit dem Individuum anfängt und Gott ans Ende platziert, nicht ist, was es vorgibt zu sein.
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